Die gestickte Nummer in der Ecke des hellroten Seidentuchs mit weißem Muster verweist auf die tschechische Journalistin, Intellektuelle und Widerstandskämpferin, Milena Jesenská (1), die 1944 in Ravensbrück starb. Für die Ausstellung „Vergessene Opfer? Polnische und tschechische Intelligenz in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück zu Beginn des Zweiten Weitkrieges“ übergab die Biografin von Milena Jesenská, Marie Jírasková 2009 dieses Taschentuch, das Milena in Ravensbrück von ihrer Mitgefangenen Margarete Buber-Neumann zum Geburtstag geschenkt bekam. Das 20,7 x21 cm große Taschentuch mit der Lagernummer von Milena Jesenská „4714“ wurde auf Wunsch von Margarete Buber-Neumann von einer anderen – bislang unbekannten – Mitgefangenen angefertigt. Das Stück Stoff stammt vermutlich aus einer der Nähereien. Es wurde mit der Hand umrandet, eine Ecke ist mit vielen Stichen ausgebessert. Dieses Taschentuch bewahrte Margarete Buber-Neumann nach dem Tod Jensenskás auf, konnte es aus dem Lager mitnehmen und übergab es 1986 an die französische Ravensbrückerin Anise Postel-Vinay. Diese übergab das Tuch kurz danach tschechischen Überlebenden in Prag.
Die als Kategorie der Dehumanisierung von der SS vergebene Nummer wurde also durchaus von den Häftlingen affirmativ gewendet, wie auch Sabine Arend an anderer Stelle bereits für die Miniaturen oder Schmuckstücke formuliert hat. Ringe, Glückwunschkarten, bestickte Tücher sind zum Teil mit Namen, zum Teil – vielleicht aus Platzgründen – mit Nummern versehen. Die Nummer ermöglichte eine individuelle Zuordnung dieses Stücks Tuchs, die Wandlung zu einem personalisierten Gegenstand im Lager. Im diesem Falle wurde das Taschentuch, ein Zeichen für Vernetzung und Zusammenarbeit, ein Geschenk zwischen zwei Freundinnen noch im Lager zum Erinnerungsobjekt.
(1) Zur Biografie von Milena Jesenská vgl. auch: Pavla Plachá, Věra Zemanová (Hg.): Milena Jesenská: Biografie, Zeitgeschichte, Erinnerung, Prag 2016
(2) S.a. Heß, Christiane, „Resistant material”: Drawings and other Artifacts of the Ravensbrück Memorial’s Collections (mit Monika Herzog), in: Forbidden Art. Illegal Art of Concentration Camp Prisoners.Conference materials, hg. vom Staatl. Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim 2012, 2012, 36-49.