Die meisten Menschen assoziieren mit Ringen ganz bestimmten Dingen. Mit Liebe, Freundschaft, der Familie. Doch was passiert, wird der Ring in einen anderen Kontext gesetzt? Ändert sich die Wahrnehmung von Schmuck durch die Existenz im Konzentrationslager?
Auf der Seite des United States Holocaust Memorial Museums (USHMM) gibt es eine Datenbank, in der es möglich ist nach Personen zu suchen, aber auch nach Objekten. Gibt man in die Suchmaske der Begriff „Ring“ ein, so erscheinen 62 Seiten, mit jeweils 20 Objekten pro Seite. Das sind 1240 verschiedene Ringe, die alleine auf der Internetseite des United States Holocaust Memorial Museum aufgeführt sind. Diese Zahl lässt vermuten, dass der Ring ein weitverbreitetes Objekt in Konzentrationslagern war.
Durch die genauere Betrachtung der Ergebnisse des USHMM wird deutlich, dass es immer wiederkehrende Thematiken oder Herkunftsgeschichten der Ringe gibt. So handelt es sich bei einem Großteil der Ringe um sehr persönliche Objekte wie Verlobungs- oder Eheringe. Eine ähnlich häufig vertretenen Kategorie sind die Ringe mit politischem Hintergrund. Ringe mit Siegeln bestimmter Widerstandsgruppen oder wahrscheinlich im Lagerkontext selbst angefertigte Ringe mit Häftlingsnummern und Symbolen der ihnen zugeschriebenen Häftlingskategorie. Eine für mich überraschend große Gruppe stellen Totenkopf- und SS-Ringe der Lager-SS dar.
Wir betrachten nun aber einen ganz anderen Ring. Er ist aus Aluminium, hat einen Durchmesser von 22 mm und fällt durch das Herz an seiner Vorderseite auf. Vermutlich handelt es sich hierbei nicht um einen Ehe- oder Verlobungsring. Auch ein politischer Hintergrund ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Was wissen wir über diesen Ring? Seine Besitzer:in war Charlotte Müller. Von April 1942 bis zur Befreiung des Konzentrationslagers wurde sie* in Ravensbrück gefangen gehalten. Dies können wir ihrer* Autobiografie, erschienen im Jahr 1981, entnehmen. Aus dieser geht ebenfalls hervor, dass Charlotte Müller gemeinsam mit anderen Frauen* im Konzentrationslager in einer Klempnerkolonne tätig war. Laut ihren* Erzählungen gab ihnen das die Möglichkeit, ohne direkte Aufsicht der SS-Aufseher:innen zu arbeiten. Für die Klempnerkolonne kann es daher möglich gewesen sein Medikamente zu beschaffen, Kommunikationswege zu eröffnen, geschwächten Frauen* Beistand zu leisten, sowie diesen zu leichterer Arbeit verhelfen. Charlotte Müller selbst übernahm die Leitung der Klempnerkolonne.
Bei der Lektüre von Charlotte Müllers Erinnerungen fällt auf, dass der Ring keine Erwähnung findet. Dies ist spannend, denn aufgrund der Umstände könnte man meinen, die Beschaffung oder Aufbewahrung eines solchen Ringes in einem Konzentrationslager sei erwähnenswert. Bestärkt wird diese Vermutung durch eine Reihe von > Interviews mit anderen Überlebenden. Die Frauen* berichten dort vermehrt von der Unmöglichkeit des Aufbewahrens von Schmuck. In den allermeisten Fällen wurde den Frauen* der Schmuck abgenommen, oder aber sie* nahmen ihn selbst ab. Der Grund dafür war die Angst vor Strafe, die auch Tod durch Erschießung heißen konnte. All diese Dinge wissen wir jedoch nicht über den hier besprochenen Ring. Wir können an dieser Stelle also erst einmal nur vermuten und Fragen stellen.
Eine der großen Frage ist dabei, wie der Ring in Charlotte Müllers Besitz gelangt ist. Es liegen Informationen darüber vor, dass er von einer sowjetischen Frau* angefertigt wurde. Hinweise darüber, in welchem Verhältnis diese Frau* zu Charlotte Müller stand, gibt es hingegen nicht. In ihren* Erinnerungen beschreibt sie* zwar vermehrt das gute Verhältnis zu den sowjetischen Frauen* im Konzentrationslager, sie äußert sich jedoch nicht dazu, ob dies auch Schenkungen von Schmuck beinhaltete. Durch das Herz am Ring stellt sich auch die Frage, ob es wohl ein Geschenk gewesen sei, welches aus einer Liebesbeziehung heraus entstanden ist.
Diese Überlegungen führen zu weiteren Fragen. Was sind Bedeutung und Funktion von Schmuck im Lagerkontext überhaupt? Können wir Schmuck grundsätzlich einem Geschlecht oder einem Gefühl zuordnen? Und hat Schmuck innerhalb des Lagerkontexts die gleiche Funktion und Bedeutung wie außerhalb des Lagers?
Passend zu diesen Fragen finde ich einen Text von Johanna Bergqvist Rydén. In „When Bereaved of Everything: Objects from the Concentration Camp of Ravensbrück as Expressions of Resistance, Memory, and Identity“ schreibt Rydén, dass der Besitz einer noch so kleinen Sachen (wie beispielsweise ein Ring) im Kontext des Konzentrationslagers, als ein Akt von Widerstand und Sabotage gesehen werden kann. Der Akt des „versteckt Haltens“ einer Sache und der daraus resultierende Besitz einer ganz individuellen Sache, konnte den Gefangenen Kraft und Mut spenden. Ob sich daraus schließen lässt, dass Charlotte Müller den Ring als einen Akt des Widerstandes behalten hat, und ob er ihr* Kraft spendete, lässt sich aufgrund der Quellenlage so nicht beantworten.
In demselben Text wird interessanter Weise ebenso thematisiert, dass historisch betrachtet, Widerstand und Sabotage häufig männlich konnotiert sind. Diese Annahme eröffnet weitere, neue Gedankengänge. Insbesondere bezüglich des Zusammenhangs von Geschlecht und Schmuck im Lagekontext. Ändern sich die geschlechtlichen Zuordnungen von Schmuck, sobald der Besitz von Schmuck im Konzentrationslager als Widerstand oder Sabotage klassifiziert wird? Oder funktioniert es anders herum. Wird der Besitz von Schmuck nur als Widerstand oder Sabotage eingeordnet, sobald eine männliche Person den Schmuck besitzt?
Die Komplexität dieses thematischen Ausblicks lässt sich an dieser Stelle nur begrenzt aufzeigen. Die eingeschränkten Recherchemöglichkeiten durch die Corona-Pandemie lassen viele Fragen unbeantwortet. Doch sind die Möglichkeiten wiedergegeben, so lohnt es sich mit Sicherheit einen vertiefenden Blick auf Charlotte Müller, ihren* Ring und dessen Bedeutung zu werfen.
(1) Den Informationen, die über Charlotte Müller vorliegen, kann nicht entnommen werden welchem Geschlecht sie* sich zu ordnen würde. Ich werde aus diesem Grund alle, Charlotte Müller betreffenden Pronomen und Substantive, mit Sternchen oder Doppelpunkt gendern.
(2) Bergqvist Rydén, Johanna: When Bereaved of Everything. Objects from the Concentration Camp of Ravensbrück as Expressions of Resistance, Memory, and Identity, k.A., 2017, S. 7.
Ring mit Herz | 1942-1945 | Aluminium | 2,2 cm | MGR/SBG V 486 D1
Zur Autor:in:
Hannah Schmitz-Moormann ist Studierende der Public History an der FU Berlin. Nebenher arbeitet sie in einem kleinen Buchladen. In ihrer Masterarbeit und im späteren Berufsleben möchte sie sich aktiv gegen „Rechtsextremismus“ einsetzen.