Die bunt lackierte Holzschatulle mit Erinnerungstafel im Deckel gehörte dem KPD-Mitglied Ewald Kaiser und erinnert an seine Ehefrau.
Das Objekt, das mir für die Recherche zugeteilt wurde, ist eine runde Holzschatulle mit geschnitztem und rot-grün lackiertem Deckel, der mit einem floralen Muster verziert ist. Die Dose hat einen Durchmesser von 15 cm und ist mit 4 cm Höhe recht flach. Der Boden ist mit Seide ausgeschlagen und im Inneren des Deckels ist ein Blechtäfelchen angebracht. Darauf steht „Zum Andenken für unsere Genossin Kaiser A.D.K.L. Sachsenhausen 1945“. Zudem sind einige Stacheldrahtverzierungen zu sehen. Die Dose gehörte Ewald Kaiser und die auf der Tafel genannte „Genossin Kaiser“ war seine Ehefrau, Sophie.
Mit diesen recht spärlichen Informationen begann meine Recherche – wie heutzutage und gerade in der Pandemie-Situation gängig – online. Der Begriff der „Genossin“ hatte mich schon vermuten lassen und die Internet-Recherche bestätigte es mir: Ewald Kaiser (geboren 1905 in Dessau) war Mitglied des Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), des Jugendverbandes der KPD, gewesen und später auch der KPD selbst. Da er ab 1932 preußischer Landtagsabgeordneter war, ließ sich im Internet einiges zu seinem Lebenslauf finden. So erfuhr ich in den biografischen Datenbanken der Bundesstiftung Aufarbeitung, dass Ewald Kaiser eine Ausbildung zum Schriftsetzer gemacht hatte, im Verlauf seines Lebens aber verschiedene Tätigkeiten ausführte. Besonders interessant ist sein Job als Müllfahrer in Herne von 1926–1933, bei dem er auch als Betriebsrat in der Gewerkschaft aktiv war. 1934 wurde er aufgrund seiner illegalen Tätigkeiten für die KPD von der Gestapo verhaftet und gezwungen, einen seiner Kameraden, Karl Schirdewan, zu verraten. Danach wurde er laut Datenbank wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zehn Jahren Haft im Zuchthaus verurteilt. Nach Absitzen dieser Strafe kam Ewald Kaiser in das KZ Sachsenhausen, wo er bis zum Ende des Krieges inhaftiert blieb. Später nahm er seine Arbeit für die KPD im Ruhrgebiet wieder auf und war laut der Website des Landtags Nordrhein-Westfalens Landtagsabgeordneter dort. 1951 wurde er wegen seiner vermutlichen Nähe zum Jugoslawischen Regime unter Tito erst in die DDR beordert und dort zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, dann zur Arbeit in verschiedenen VEBs eingeteilt. 1956 wurde er wieder in die KPD aufgenommen und arbeitete bei verschiedenen Rundfunksendern. Über seine Frau fand ich während meiner Online-Recherche nur heraus, dass sie den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte und nicht – wie ich aufgrund der Gedenktafel überlegt hatte – gestorben war. Aufgrund der Bezeichnung als „Genossin“ vermutete ich jedoch, dass auch sie politisch engagiert war.
Der Archivbesuch
Kurz darauf stand schon mein Archiv-Besuch in der Gedenkstätte Sachsenhausen an, bei dem ich mir vor allem erhoffte, etwas über Sophie und die Dose herauszufinden. Wie und wo war sie hergestellt worden, warum war die Gedenktafel darin angebracht?
Vor Ort durfte ich mir die Dose, die ich bis dahin nur von Fotos kannte, zum ersten Mal in der Realität ansehen und sie mit Handschuhen sogar anfassen. Die glatte, lackierte Oberfläche zu berühren, über die Schnitzereien zu fahren und mir die Dose genau von innen anzusehen, brachte mir das Thema wesentlich näher. Die detaillierte Schnitzerei auf dem Deckel macht sofort deutlich, dass die Dose nicht von einem Laien hergestellt wurde. Zudem erkannte ich jetzt, dass das Seiden-Futter in der Dose eher provisorisch mit Reißzwecken festgemacht wurde – ein Merkmal dafür, dass die Dose unter erschwerten Bedingungen hergestellt worden war?
Die Recherche in der Datenbank brachte wenig zutage. Ich fand heraus, dass Ewald Kaiser als sogenannter Schutzhäftling ins KZ Sachsenhausen kam. Die Schutzhaft war eine gängige Bezeichnung zur Inhaftierung politischer Gefangener seit dem Ersten Weltkrieg, welche unter der NS-Herrschaft aber vollkommen willkürlich angeordnet wurde. Personen, die wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt worden waren, wurden gewöhnlich nach ihrer Haftstrafe in Schutzhaft genommen. So sollte die politische Opposition entmachtet werden. Details über Ewald Kaisers Zeit im KZ selbst, oder zu seiner Frau, die helfen könnten, den Umständen der Herstellung und des Erwerbs der Dose auf die Spur zu kommen, fand ich nicht.
Erst als mir der Briefwechsel zwischen der Stifterin der Dose, Johanna Roeder, und der Gedenkstätte zur Verfügung gestellt wurde, kam ein wenig Licht ins Dunkle: Die Stifterin hatte einem ihrer Briefe Lebensläufe von Ewald und Sophie Kaiser beigelegt. So erfuhr ich, dass auch Sophie Kaiser in KPD-Kreisen tätig war und selbst zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Die Dose sei ein Geschenk gewesen – ob an Ewald Kaiser oder für ihn als Geschenk an eine andere Person hergestellt, ist nicht klar. Auch Johanna Roeder, eine Freundin der Familie Kaiser, erhielt die Dose als Geschenk von Sophie – 1995, drei Jahre nach Ewald Kaisers Tod. Sie stiftete die Dose 2008 an die Gedenkstätte. Für Verwirrung sorgte in dem Lebenslauf Ewald Kaisers, dass laut der Stifterin seine Zuchthausstrafe nur fünf Jahre gedauert hätte und er somit schon 1939 – statt 1944 – im KZ inhaftiert worden sei. Dies widersprach allen bisherigen Aussagen, die ich gefunden hatte – inklusive einer Biografie in der Mediathek der Gedenkstätte –, wurde aber durch eine Erwähnung Kaisers in der autobiografischen Erzählung eines politischen Gefangenen, Willy Perk, der Kaiser 1943 im KZ begegnet sein will, untermauert. Aus dieser Erzählung erfuhr ich auch, dass Kaiser zu Kriegsende auf einen Todesmarsch geschickt wurde. So hinterließ mein Besuch im Archiv eine große Frage: Wann war Ewald Kaiser ins KZ Sachsenhausen gekommen und damit auch: wann war die Dose entstanden?
Weitere Recherche
Ich recherchierte daraufhin noch einmal online und wurde im Arolsen Archive fündig. Dort fand ich ein Gesundheitsblatt Ewald Kaisers, das seine Ankunft im KZ Sachsenhausen nach eigenen Angaben auf den 23. August 1944 datierte. Mit dieser Quelle zusätzlich zu der Biografie, die ich in der Datenbank der Gedenkstätte gefunden hatte, ist nun gesichert, dass er erst 1944 in Sachsenhausen ankam und auch die Dose demnach wohl erst in diesem oder dem Jahr 1945 hergestellt wurde. Da das Gedenktäfelchen im Deckel der Dose das Jahr 1945 nennt, könnte dies auch das Entstehungsjahr zumindest der Tafel sein. Doch kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob Dose und Tafel zusammen hergestellt wurden.
Vielleicht sollte die Dose eine Erinnerung für Ewald Kaiser an seine Ehefrau sein, die er zu diesem Zeitpunkt seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. So läge die Vermutung nahe, dass Dose und Tafel gemeinsam hergestellt wurden. Sie stellen eine Verbindung zu seinem alten Leben her und sind vielleicht ein Zeichen für die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Doch könnte man die Inschrift und auch die Aussage der Stifterin, dass es sich um ein Geschenk handelte, auch dahingehend auslegen, dass die Dose ein Geschenk von Ewald Kaiser an seine Ehefrau war. Dafür würde auch die eher feminine florale Verzierung des Deckels sprechen. Zudem weist die Dose kaum Gebrauchsspuren auf, was ein weiteres Indiz dafür sein könnte, dass Ewald Kaiser die Dose selbst nicht nutzte, sondern für seine Frau aufbewahrte. Dies könnte vielleicht dadurch geklärt werden, dass man herausfindet, was die Abkürzung A.D. der Inschrift bedeutet. Ist es eine Erinnerung aus dem K.L. Sachsenhausen, handelt es sich hier um das gängige anno domini oder bedeutet es etwas völlig anderes?
Holzschatulle | Holz, Textil (Seide), Metall (Blech), Farbe um1944/45 | 15,7 x 4 cm | GuMS 09.00086.1-2
Zur Autorin:
Lisa Hirsch, Studentin des Masterstudiengangs Public History der Freien Universität Berlin. Zuletzt beteiligt an einem Projekt zu urban consumption commons des Centre Marc Bloch. Zeitweise studentische Mitarbeiterin des Ch. Links Verlags.
Sophie Mende und Sophie Kaiser
„Sophie Mende und ihre Tochter, also unsere Cousine Sophieken Kaiser sind nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo nach Dortmund ins Gefängnis gekommen. Meine Tante Emma war die Schwester von Sophie Mende. Sie ist damals jede Woche mit dem Fahrrad von Herne nach Dortmund zum Gefängnis gefahren um die schmutzige Wäsche abzuholen und saubere hinzubringen. Sie hat mir erzählt „die ganze Wäsche war immer blutverschmiert, also sind die da schon gefoltert worden. Tante Emma war wie ihre Schwester Sophie Mende und ihre Nichte Sophieken in der KPD und genauso überzeugt wie die beiden.“
Das erinnert die 85jährige Ruth Goertz von der Horsthauserstraße im April 2020 in einem Gespräch mit der DGB-Geschichtswerkstatt.
Die Bergmannswitwe Sophie Mende wurde 1924 Stadtverordnete der KPD in Herne und wohnte 1934 bei ihrer gleichnamigen, 1907 in Herne geborenen Tochter und dem Schwiegersohn Ewald Kaiser, beide Aktivisten des KJVD, auf der Auguststr. 37. Der Ehemann und Vater Karl Mende, der wie Sophie seit 1920 der KPD angehörte, war Bergmann auf der Zeche Friedrich-der-Große 1/2 und 1933 verstorben.
Beide „Sophies“ setzten nach der Machtübertragung auf die Faschisten im Januar 1933 ihre politische Arbeit nunmehr illegal fort und gehörten zum aktiven Kern der Widerstandsgruppe um August und Mimmi Schuster. Ihre Wohnung diente der Widerständlern als Anlaufstelle für illegale Kuriere. Dies blieb so manchem Denunzianten sowie der Gestapo nicht verborgen und so fanden hier bei ihnen in der Horsthauser Wohnung ständig scharfe Haussuchungen statt.
Während Sophie Mende (zu dieser Zeit 49 Jahre alt und Kassiererin der KPD-Zelle Baukau) bereits im Mai 1935 wegen Vorbereitung des Hochverrats zu einer Zuchthausstrafe von 4 Jahren verurteilt worden war saß Sophie Kaiser (seit 1932 Mitglied der KPD) wegen ihrer gemeinsam mit Ewald Kaiser durchgeführten illegalen Tätigkeit für den verbotenen KJVD bereits ab September 1933 im Gefängnis Mannheim ein. Nach ihrer Freilassung im Februar 1934 und trotz der Erfahrungen mit dem faschistischen Repressionsapparat, setzte sie die illegale Arbeit in Herne fort. Im Oktober 1934 flog sie auf und wurde dem Gerichtsgefängnis Dortmund und im Anschluss dem berüchtigten Polizeigefängnis Steinwache überstellt. Hier ist sie dem, für seine bestialischen Verhörmethoden bekannten Gestapo-Schläger Kassebohm ausgesetzt.
Das Oberlandesgericht in Hamm verurteilte die 27jährige Sophie im Januar 1936 zu einer Zuchthausstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten, die sie bis Januar 1941 im Zuchthaus Aichach verbringen musste.
DGB-Geschichtswerkstatt Herne
Vielen herzlichen Dank für den Kommentar und den wichtigen Hinweis auf die Biografien!